Das Internet als rotes Tuch auch für deutsche Beamte?

Nehmen sie sich ein Beispiel an der Türkei?

Werden womöglich bald alle kritischen Politikberichterstatter weggesperrt?

04. Aug. 2015

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Netzpolitik.org gehört zu den bekanntesten deutschsprachigen Blogs, wurde 2014 sogar mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet und soll in Kürze mit dem Preis als "Ausgezeichneter Ort" von Deutschland vom Bundespräsidenten geehrt werden:

"Ausgezeichneter Ort" von Deutschland – Land der Ideen, einer "gemeinsamen Standortinitiative der Bundesregierung und der deutschen Industrie"

Schirmherr ist niemand anderes als Bundespräsident Joachim Gauck. In der Begründung für die Auszeichnung heißt es unter anderem:
"Die Macher des Weblogs netzpolitik.org engagieren sich seit über zehn Jahren für ein offenes Netz und die digitalen Rechte der Bürger. Ziel ist es, rund um alle Themen zu informieren, die der digitale Wandel mit sich bringt – ob für Kultur, Politik oder Gesellschaft – und eine breite öffentliche Debatte anzustoßen. Mit Erfolg: Der preisgekrönte Weblog prägt seit über zehn Jahren den netzpolitischen Diskurs in Deutschland und ist zu einer wichtigen Stimme in der Medienlandschaft geworden."

Scheinbar nicht für die "Bundesregierung". Hier geht man lieber gegen wehrlos geglaubte Blogger vor, statt sich um die eine große, drängende Frage zu kümmern: das völkerrechtswidrige Abhören und Ausspähen der Bürger, der Industrie, der Regierungsmitglieder, speziell Angela Merkel, durch die NSA. Dieses Ausspähe aber, trotz aller Gewissheit, ist für Generalbundesanwalt Range und den Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen, der mit seiner Strafanzeige die Ermittlungen gegen "Netzpolitik" ins Rollen brachte, eine Nummer zu groß. Ihre offensichtliche Feigheit kompensieren sie mit dem "Verhauen" vermeintlich Kleiner und Schwacher. So ist es, wenn Angsthasen ein Exempel statuieren. Die Peinlichkeiten dieses ihres Verhaltens in einer Demokratie mit Meinungsfreiheit bemerken sie scheinbar gar nicht mehr.

Apropos Bundesregierung

Wenn Frau Merkel gemeint ist, heißt es in der Presse immer die "Bundesregierung". Deshalb sind bei Umfragen auch siebzig Prozent der Bürger unzufrieden mit der Regierung, dieselben siebzig Prozent aber zufrieden mit Frau Merkel. "Die bringen Merkel gar nicht mit der Regierung in Verbindung", sagt Volker Pispers. Mit anderen Worten: Angela Merkel ist Mutti, die uns alle mit ihrer Liebe umfängt, und die "Bundesregierung" gleich Merkel verkörpert diejenige, die uns etwas Schlimmes antun. Und was sagen sie in der Sache? Mutti ist im Urlaub in Tirol, was ihr gegönnt sei, und die Bundesregierung steckt im Sommerloch fest. Wer fest steckt, eiert hin und her, wie wir alle wissen.

Klarheit beim Deutschen Journalistenverband DJV [Michael Konken]. Der spricht von einer Justizposse und einem "unzulässigen Versuch, zwei kritische Kollegen mundtot zu machen. Die Ermittlungen gegen die beiden Journalisten zeigen, dass der Verfassungsschutzchef in Sachen Pressefreiheit offenbar nicht dazulernt".

Nun, er lernt nicht. Herr Maaßen sieht die Ermittlungen gegen netzpolitik.org als Teil der Terrorabwehr: "Um die weitere Arbeitsfähigkeit meines Hauses im Kampf gegen Extremismus und Terrorismus sicherzustellen, war es notwendig, gegen die Herausgabe von als vertraulich oder geheim eingestuften Dokumenten des BfV juristisch vorzugehen", erzählt er der "Bild am Sonntag". Terrorabwehrterror sozusagen. Wenn es nicht so ernst wäre, müsste man an dieser Stelle in lautes Lachen ausbrechen. Wenn der Herr Maaßen "gegen die Herausgabe von als vertraulich oder geheim eingestuften Dokumenten des BfV juristisch" vorgehen will, dann hätte er seine eigenen Leute zuallererst anzeigen müssen, denn irgendwie muss dieses Material ja das Haus des Verfassungsschuztes verlassen haben. Oder ging es an die Bundespolitiker, welche den Geheimdienst überwachen sollen? Dann stünden die natürlich ebenfalls unter Generalverdacht der Weitergabe geheimer Unterlagen. Eine Strafanzeige gegen sie existiert ebenfalls nicht. Naja, es hieß schon immer: Den Letzten beißen die Hunde. Und diese Letzten sind heute die Betreiber von netzpolitik.org.

Außerdem lautet die immer wieder kehrende Frage: Welche Verfassung schützt Herr Maaßen?

Wir haben ein Grundgesetz. Das Grundgesetz ist ein besatzungsrechtliches Regierungsmittel und ermöglicht den alliierten Siegermächten bei unerwünschtem Handeln der Bundesrepublik, gleich welcher Art, die selbige wieder zu besetzen und jegliche Eigenständigkeit aufzuheben. Das wissen auch Frau Merkel und Herr Range bei ihrem vehementen Vorgehen gegen die NSA. Also bitte immer schön nach oben kuschen und nur nach unten treten. Frust braucht ein Ventil!

Herr Maaßen ist "Grundgesetzschutzpräsident" und damit auch der Hüter von Meinungs- und Pressefreiheit. Daher müsste er auch bemerken, dass es nicht um Landesverrat geht, sondern dass netzpolitik.org die Demokratie schützt. Denn, wenn der Staat seine Geheimdienste nicht ausreichend kontrolliert, muss man sich wenigstens auf die Journalisten verlassen können. Die NSU Nazimördergeschichte wäre doch sonst gänzlich weggeschreddert worden.

In der "Süddeutschen Zeitung" war zum Thema zu lesen:
Im  Fall des Riesen NSA und seiner Abhöraktionen in Berlin macht sich die Behörde klein und versteckt sich. Im Fall des Zwergs Netzpolitik.org gibt sie den starken Staat. Warum? Über den umstrittenen Plan "EFI" hatten SZ, NDR und WDR Monate zuvor berichtet. Geht es also darum, dass das Portal nicht nur berichtete, sondern auch Teile der als geheim eingestuften Original-Dokumente veröffentlichte? Oder hofft man, dass ein Schlag gegen die Blogger-Szene zu keinem Aufschrei der etablierten Medien führen wird, aber deren Informanten verunsichern könnte?

Dass der Generalbundesanwalt Ermittlungen gegen netzpolitik.org aufgenommen hat, muss  eigentlich im Auftrag von Justizminister Maas [SPD] geschehen sein, denn Herr Range  ist weisungsgebunden. Staatsanwälte machen genau das, was die Berufsbezeichnung aussagt: Anwälte des Staates. Der Staat wird repräsentiert vom Gesetzgeber, der Legislative, und von der jeweiligen Regierung. Herr Range muss demzufolge als Anwalt der Regierung handeln, als Anwalt der Gesetze und des Grundgesetzes zu allererst. Das schien er vollkommen vergessen zu haben oder es gab tatsächlich eine entsprechende Weisung des Justizministers. So wurde es interessant, wie sich Maas und Range da herauswinden.

Eines zeigte sich schon zu diesem Zeitpunkt: Wenn die Merkel-CDU für den Machterhalt Nicht-Ermittlungen in Sachen NSA fordert, dann wird eben nicht ermittelt. Wenn Frau Merkel und ihre CDU zum Machterhalt Ermittlungen gegen zwei Blogger fordert, dann wird ermittelt. Gut daran ist nur, dass das lausige Spiel endlich jedem auffällt.

Wie das Possenspiel weiter ging?

Der Generalbundesanwalt vergaloppierte sich vollkommen in seiner Selbstherrlichkeit, indem er heute eine Pressekonferenz gab. Dort stellte er sich über seinen Dienstherrn, den Justizminister Heiko Maas, und eine Weisung, die er von ihm erhalten hatte, die aufgenommenen Ermittlungen einzustellen. Der kurz vor der Pensionierung stehende Ministerialbeamte vergaß vollständig, dass er weisungsgebunden arbeitet, anders als die Richter in diesem Land. Er produzierte sich als unabhängiger Staatsanwalt, der nicht mehr seinem Dienstherrn folgen muss, sondern selbstherrlich entscheiden darf. Leider suchte er sich dafür auch noch die falschen Beschuldigten aus. Hätte er doch nur in Sachen NSA so entschieden. Wahrscheinlich wäre er dann zum Volkshelden geworden. So blieb ihm heute nur der Abschied in den vorzeitigen Ruhestand. Damit hat er noch Glück. In der freien Wirtschaft wäre ihm wahrscheinlich fristlos gekündigt worden.

Der Blick in die nahe Zukunft

fällt nicht schwer. Wahrscheinlich wird die Anklage gegen netzpolitik.org still und leise fallen gelassen, die Ermittlungen eingestellt, der oberste Grundgesetzschützer Maaßen in Brüssel deponiert oder Werkschutzleiter bei der Deutschen Bahn, als Beamter natürlich, und Herrn Justizminister Maas spricht Frau Merkel ihr volles Vertrauen aus.

Und der Bundesinnenminister?

Der wird wieder einmal sagen, sein Name sei Hase und er wisse von nix. Zwar hatte Herr Maaßen den zuständigen Abteilungsleiter und die Staatssekretärin im Innenministerium informiert, aber die wollten wohl den Chef nicht belästigen. "Dadurch habe Herr de Maizière  keine Kenntnis von der Anzeige gehabt." - Alles klar?

Elmar Theveßen, stellvertretender Chefredakteur und sogenannte Terrorismus-Experte beim ZDF, sagte am 4.7.2015  in einer Diskussionsrunde: "Ich glaube, dass in Deutschland das politische System und allem voran die parlamentarische Kontrolle momentan zerbrochen ist."

Aber, im Moment ist sowieso erst einmal Pause. Der beauftragte Gutachter  für Staatsgeheimnis und Landesverrat ist zufällig gerade ganz schnell in den Urlaub gefahren.

Eines haben Range und Maaßen auf jeden Fall geschafft: "Den "Netzpolitikern", die bisher nur Insidern bekannt waren, haben sie zu nationaler Berühmtheit verholfen. Und ab nächsten Mittwoch sind sie dann auch noch ein mit dem Segen des Bundespräsidenten "ausgezeichneter Ort", schreibt die Frankfurter Rundschau.

Unsere christlichen Politiker werden das nicht auf sich sitzen lassen, denn die sehen das anders. Irgendwann schlagen sie zurück. Noch ist Sommerloch.

Bereits in ihrer Rede zur 60-Jahr-Feier der CDU am 16. Juni 2005 hatte Angela Merkel verkündet:
"Wir haben wahrlich keinen Rechtsanspruch auf Demokratie und soziale Marktwirtschaft auf alle Ewigkeit." Scheinbar ist für beides das Verfallsdatum abgelaufen. Wie gesagt, noch ist Sommerlocheierei. Mal sehen, was da noch so alles abläuft. Mutti droht ja schon mit einer weiteren Amtszeit. Sie muss doch noch TTIP durchbringen. Wer dann wohl auf Volksverrat klagt?

Mit herzlichen Sommerurlaubsgrüßen

Haydn von Hohnstein