Es gibt kein Verbrechen, keinen Kniff, keinen Trick, keinen Schwindel, kein Laster, das nicht von Geheimhaltung lebt. Bringt diese Heimlichkeiten ans Tageslicht, beschreibt sie, macht sie vor aller Augen lächerlich und früher oder später wird die öffentliche Meinung sie hinwegfegen. Bekanntmachung allein genügt vielleicht nicht; aber es ist das einzige Mittel, ohne das alle anderen versagen. Josef Pulitzer
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Betroffenheitsorgie

28. März 2015

Die Berichterstattung über den Absturz des Airbus war und ist teilweise erschütternder Journalismus.

Es ist ein Flugzeug abgestürzt, ja. Für viele Menschen, in erster Linie für die Angehörigen der Opfer, bedeutet das einen tiefen Einschnitt ins Leben. Da, und nur da, kann ich die Trauer und das Leid begreifen, Mitgefühl empfinden.

Wenn ich aber einen Blick auf die Presse werfe, zeigt sich mir das, was unausweichlich kommen musste: Eine Betroffenheitsorgie, die durch die sensationsgeile Presse an den sensationsgeilen Bürger weiter getragen wird.

Es war abzusehen, dass diese Schlacht um das spektakulärste Foto, das bewegendste Interview beginnen würde. Bei "Bild.de" liegen die Nerven blank: Dort fragt man sich schon zum jetzigen Zeitpunkt, warum keine Staatstrauer angeordnet wird, anstatt "nur" die Flaggen auf Halbmast zu zeigen. Außerdem gibt es laut "Bild" einen geheimen Unfallbericht an die Bundesregierung, der so geheim ist, dass man für den Artikel bezahlen muss …

Ranghohe Politiker, auch Mutti Merkel, eilen zum Unfallort, um … ja, warum eigentlich?

"Deutschland, Frankreich und Spanien stehen unter Schock" heißt es. Obama glaubt nicht an einen Terrorakt und der Bürgermeister von Haltern kann sein Redemanuskript nur durch einen Tränenschleier erkennen und bringt mühevoll mit brüchiger Stimme "Nichts wird mehr sein, wie es war" heraus. Ihm glaubte man die Trauer unbenommen. Doch warum so öffentlich im Fernsehen? Oder Angela Merkel, trostspendend, für die Betroffenen wohltuend, doch warum müssen die Kameras dabei sein? Ach ja, Politiker leben von der Öffentlichkeit. Die Trauernden benötigen sie weniger. Es bleibt die Frage, warum ein Flugzeugabsturz die Journalisten herbeiruft wie ein Kadaver die Geier. Die Antwort: Sensationslust, Auflage, Einschaltquoten bestimmen, wo es lang geht. Oder wo bleibt die Flagge auf Halbmast angesichts der unnötigen Toten in den Krankenhäusern, die aus Kostengründen an resistenten Krankenhauskeimen sterben müssen? Erhalten deren Angehörige ebenfalls Kriseninterventionsteams an die Seite gestellt? Bezahlen die Krankenhäuser eine Soforthilfe von 50.000 € pro Toten? Gibt es Trauerstunden in Bundestag und Länderparlamenten? Viele Fragen zur Frage, wie wir im Land mit unseren Toten umgehen.

Alles wird bis aufs kleinste seziert.

Die letzte Pizza, welche die Schüler gegessen haben, das letzte Lebenszeichen vom Handy.
Sarkastisch? Ja! Besonders angesichts der Tatsache, dass Tag für Tag tausende Menschen, darunter besonders viele Kinder, denen nicht einmal die kleinste Perspektive auf ein halbwegs menschenwürdiges Leben gegeben wurde, sterben … Nein, besser gesagt, verrecken! Alles unter unseren Augen, mit unserem Wissen und vollem Bewusstsein. Aber das ist weit weg und berührt uns wenig, ebenso die ca.3.000 Verkehrstoten im Jahr auf unseren Straßen. Der sensationslüsterne Journalist schafft es nicht bis zur nächsten Tafel für Hatz IV Empfänger. Dafür treten sie sich in Südfrankreich momentan auf die Füße.

Aufmerksamkeit wird in Entfernungen gemessen, es sei denn, wirtschaftliche Interessen spielen eine Rolle. Und hier ist jetzt die ganze Nation geschockt, was sich gut vermarkten lässt. Sogar Google hat ein Doodle extra auf die Startseite gesetzt. Eine schwarze Schleife, die Mitgefühl ausdrücken soll. Ein milliardenschwerer Konzern, der ansonsten auf die schwarze Schleife lieber verzichtet, denn auf Dauer wäre sie umsatzschädigend. Nur in diesem speziellen Fall ....

Wer wird als nächstes auf das Betroffenheitskarussel aufspringen? Auch unser Bundesprediger hat sich geäußert und sich profiliert, zugeschaltet aus dem fernen Peru, natürlich mit pastorlich einstudierter Trauermiene, bei der ein Zuschauer nicht wirklich weiß, was er tatsächlich empfindet. Doch er kann es, unbestritten! Einige der sich öffentlich prostituierenden Psychologen können es nicht. Lieber vereinnahmen sie uns, wie neulich bei Maybritt Illner mit der Aussage, dass wir schließlich alle Angst vorm Fliegen hätten, zumindest vor Start und Landung. Ich sah mich nur verwundert um, wen sie wohl um mich herum meinte. Ich flog einen Tag nach dem Absturz von Hamburg nach Lissabon und hatte, wie immer, überhaupt keine Angst, weder vorm Fliegen noch vor dem Start oder der Landung. Was fällt so einer Psychologin eigentlich ein, von "allen" zu sprechen, also ebenfalls von mir? Ich kenne auch noch andere Menschen, die mir beipflichten. Sicher gibt es beides: Angst und keine Angst. "Alle" dürfte die falsche Aussage sein. Vielmehr hat diese Fachkraft wohl ihre eigenen Ängste auf uns alle projiziert. So eine Psychologin würde ich niemals aufsuchen.

Oder die Rechtsanwälte. Die ersten versuchen bereits, mit Internetabmahnungen Geld zu verdienen, weil einige Nutzer den Doodle oder die Schleife der ARD als Zeichen des Mitgefühls auf ihre Seiten setzten. Wahrscheinlich sind sie eher kaufmännisch geschickt als in Fragen des Rechts, denn sonst hätten sie so etwas zum Gelderwerb nicht nötig. Taktgefühl? Rücksichtnahme? Mitgefühl? Fehlanzeige! Das Geschäft geht vor, da lässt man sich als Anwalt doch nicht von Trauer beeinflussen!

Mir ist das alles zu unausgegoren, zu oberflächlich, zu heuchlerisch oder einfach nur verlogen.

Ein Flugzeug ist abgestürzt, ja, schlimm, furchtbar. Ich bin nicht geschockt. Nur angewidert von der Journaille und allen profilsüchtigen Heuchlern.

Bin ich gefühlskalt?

Haydn von Hohnstein