Deutschland zieht in den nächsten Krieg: Jetzt nach Syrien

Schröder war so klug, uns aus dem Irakkrieg heraus zu halten

Mutti Merkel wollte schon damals losziehen

In Libyen hinderte sie Außenminister Westerwelle daran

Jetzt kann sie endlich loslegen, dank sozialdemokratischer Unterstützung, um wenigstens bei der völligen Destabilisierung des dritten arabischen Staates mitzuhelfen

Der Bundestag entschied in seiner Sondersitzung, dass Tornados, ein Tankflugzeug und eine Fregatte Frankreich in seinem Kampf gegen den Terror, sprich den Is oder auch Islamischen Staat zu unterstützen. Doch: Kein einziges der Argumente für den Einsatz der Bundeswehr in Syrien ist wirklich stichhaltig.

Die Bundesregierung verfährt beim Bundeswehreinsatz in Syrien, dem der Bundestag zugestimmt hat, nach dem Motto "Viel hilft viel". Sie beruft sich auf das kollektive Selbstverteidigungsrecht, auf die Beistandsverpflichtung der EU-Bündnispartner sowie auf drei UN-Resolutionen zum sogenannten Islamischen Staat. Solide ist freilich keines dieser Fundamente.

Ist der Einsatz durch die Vereinten Nationen legitimiert?

Grundsätzlich wäre der UN-Sicherheitsrat die richtige Adresse. Nach der UN-Charta kann er und darf nur er Ausnahmen vom Gewaltverbot autorisieren. In seiner jüngsten Resolution 2249 vom 20. November fordert er die Staaten dazu auf, "alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und ihre Anstrengungen zu verstärken und zu koordinieren, um terroristische Handlungen zu verhüten und zu unterbinden". Gemeint sind insbesondere Terrorakte des IS. Das klingt allerdings verbindlicher, als es ist. Denn die Resolution mandatiert gerade keine Militäraktionen nach Kapitel 7 der Charta. Dies aber wäre erforderlich, damit eine Ausnahme vom Gewaltverbot greift: Die Resolution müsste die "notwendigen Maßnahmen" konkret benennen. Nun wird es in den deutschen Medien so hingestellt, als wenn Russland eine Militäraktion nach Kapitel 7 der UN- Charta verhindert hat und damit im Unrecht wäre. Doch wie sieht die tatsächliche Situation aus? Eine Militäraktion richtet sich grundsätzlich gegen Staaten oder wird auf Bitten eines Staates ausgeübt. Der Staat, den sie betreffen würde, heißt allerdings Syrien und niemand will bisher gegen Syrien in den Krieg ziehen, sondern gegen den im Irak und in Syrien operierenden Islamischen Staat. Syrien ist ein souveräner Staat, der selbst entscheiden darf, welche kriegerischen Aktionen auf seinem Territorium stattfinden. Und nach den Erfahrungen im Kosovo ist der Sicherheitsrat eben vorsichtig geworden mit einer Militäraktion nach Kapitel 7 der Charta. Man will Syrien nicht zerteilen und ein Gebiet vom Land abspalten. Der Kosovo ist bis heute selbst von einigen EU- Ländern nicht als Staat anerkannt und Ruhe gibt es dort ebenfalls nicht. Hinzu kommt, dass Syrien den UN- Sicherheitsrat im September angerufen hatte mit der Bitte, die westlichen Länder aufzufordern, eine Bombardierung seines Staatsgebietes einzustellen. Schon deshalb ist der Einsatz in Syrien eher völkerrechtswidrig als völkerrechtskonform.

Doch die Mehrheit des Parlamentes interessiert das nicht. Möglichst sofort sollen sechs Tornados in den Süden, auf einen Nato-Stützpunkt in der Türkei. Über Syrien sollen die Maschinen ab Ende Januar 2016 Informationen aus der Luft beschaffen, wonach dann die Bomber fliegen. Dabei ist sich die Bevölkerung in Syrien trotz aller Unterschiede in einem einig: Das Bomben soll endlich aufhören, damit sie Ruhe finden. Das Wichtigste wäre es also, mit der Assadregierung und den Russen ein Ende aller Bombardements über syrischem Territorium auszuhandeln. Danach kann man dann in Wien weitere Schritte verhandeln, wie sich das künftige Syrien konstituieren soll, am besten natürlich ohne Assad. Bis dahin bleibt er allerdings der einmal gewählte Präsident, ob uns das passt oder nicht. Fakt ist: Die Bomben sorgen für Flüchtlinge, die gerade Deutschland zu erreichen suchen. Doch anstatt auf ein Ende der Bombardements hinzuarbeiten, unterstützt Deutschland den Bombenkrieg. Es bleibt natürlich die Frage, wie der IS zu besiegen ist. Das beginnt mit dem Austrocknen des Ölexports des IS über die Türkei und türkische Häfen. Das beginnt mit dem Austrocknen der Geldströme aus Saudi- Arabien und Katarrh, die sich die USA vor allem aber "warmhalten" wollen. Das beginnt damit, dass im Irak, dem Geburtsland des IS, eine Politik gemacht wird, die keine Glaubensgemeinschaft ausnimmt. Hier hätten die USA genug Enfluss, um etwas zu bewirken. Die Aufzählung lässt sich fortführen. Vor allem geht es darum, bei uns in Europa dem Gedankengut des IS den Boden zu entziehen. Denn die Terroristen von Paris waren Franzosen und Belgier, wenn auch mit Migrationshintergrund. Ein Terrorist marokkanischer Abstammung ist auch kein irakischer oder syrischer Terrorist, der einen Bombenkrieg in Syrien rechtfertigt. Wie so oft, wurde seitens der europäischen Regierungen viel zu viel wertvolle Zeit vergeudet, um friedliche Wege zum Erfolg zu führen. Man schaute zu, was in Arabien passiert, ließ die Diplomatie faktisch ruhen und verkündet nun, dass der Bombenkrieg unumgänglich ist.

Der deutsche Außenminister sieht auch nicht gerade danach aus, dass er sich international wirklich durchsetzen könnte oder ideenreich agiert. Wenn etwas gegen Widerstände durchzusetzen ist, dann muss Mutti Merkel `ran. Was für ein Armutszeugnis für Steinmeier.

Kann sich Deutschland auf das Recht der Selbstverteidigung berufen?

Die UN-Charta normiert die zweite Ausnahme vom Gewaltverbot: das Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung gegen einen "bewaffneten Angriff". Umstritten ist indes, ob die Attentate von Paris bereits diese Dimension erreicht haben. Ein reiner Terroranschlag wäre kein Fall fürs Militär, sondern für die Polizei, zumal die Täter in Weesteuropa wohnten. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags führt hier ins Feld, dass die Anschlagsserie vom 13. November - wenngleich nicht mit 9/11 vergleichbar - sehr sorgsam koordiniert gewesen sei. Zudem habe nur der Zufall verhindert, dass die Gewalttäter ins Fußballstadion gelangten, was womöglich Tausende Opfer gefordert hätte.

Auf jeden Fall war der Irakkrieg nicht erfolgreich und legte die Ursachen für die Gründung des IS. Deshalb dürfte es anzuzweifeln sein, dass ein erneuter Krieg infolge eines Terroranschlags zu besseren Resultaten führt. Entscheidend für eine Einschätzung, ob Frankreich das Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch nehmen kann könnte sein, wie sicher sich nachweisen lässt, dass die Basis der Anschläge beim IS in Syrien tatsächlich gelegt wurden. Doch auch dann bleibt die Tatsache, dass nicht Syrien Frankreich angriff, sondern der IS.

Der "Islamische Staat" ist, trotz seines Namens, kein Staat. Gilt hier gleichwohl das eigentlich doch auf Staaten bezogene Selbstverteidigungsrecht?

In diesem Punkt bewegt sich die Bundesregierung auf besonders dünnem Eis. Denn Angriffe gegen den IS führen auf syrisches Gebiet - also auf das Terrain eines souveränen Staates, der dafür keine Zustimmung gegeben hat. Zwar wurden nach den Anschlägen von New York und Washington Militäraktionen gegen al-Qaida ebenfalls auf afghanischem Gebiet geführt. Allerdings ist dies damals mit der "Safe-Haven-Doktrin" gerechtfertigt worden: Staaten, die Terroristen einen sicheren Hafen bieten, müssen sich deren Aktionen zurechnen lassen. Davon kann in Syrien, das den IS bekämpft, keine Rede sein. Deshalb wird von einigen Völkerrechtlern gefordert, das Selbstverteidigungsrecht auf das Terrain von Staaten auszudehnen, die nicht willens oder - das könnte man im Fall Syriens anführen - nicht in der Lage sind, Terroristen im eigenen Land wirksam zu bekämpfen. Damit will man verhindern, dass diese sich hinter dessen Souveränität verstecken können. Mit diesem Ansatz würde aber faktisch der Schutz der territorialen Integrität der Staaten aufgehoben, warnt der Völkerrechtler Norman Paech in einem Gutachten für die Linke.

Syrien "Tornados" als Instrument der Politik

Bundeswehr-Jets fliegen nicht aus militärischen Erwägungen über Syrien, sondern weil Frankreich um Solidarität gebeten hat. Sie sind keine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, sie sind Politik. Kommentar: Es geht gar nicht darum, die Diplomatie zu bemühen. Es geht nur darum, Frankreich einen Gefallen zu tun und zu beweisen, dass man eng zusammen steht, auch militärisch.

Und was sagt das Grundgesetz dazu?

Artikel 24 erlaubt Bundeswehreinsätze in einem "System gegenseitiger kollektiver Sicherheit", also im Rahmen der Nato oder eines UN-Mandats - keine dieser Voraussetzungen ist hier erfüllt. Deshalb kommt die EU ins Spiel, Frankreich hat erstmals in der Geschichte den EU-Bündnisfall ausgerufen. Ob die EU ein solches System kollektiver Sicherheit ist, das ist allerdings umstritten. Das Bundesverfassungsgericht hatte dies im Lissabon-Urteil von 2009 noch verneint.

Könnte das Verfassungsgericht den Einsatz für verfassungswidrig erklären?

Wahrscheinlich wird dieser rechtlich so heikle Fall nicht nach Karlsruhe gelangen. Eine Organklage halten nicht einmal Grüne und Linke für zulässig, weil der Bundestag ja angerufen wurde und die Gegner des Einsatzes sich damit nicht auf eine Verletzung ihrer Rechte berufen können. Und eine Normenkontrollklage scheitert schon daran, dass die Opposition das 25-Prozent-Quorum nicht erreicht. Denkbar wäre die Verfassungsbeschwerde eines Soldaten, der sich auf den Schutz von Leben und Gesundheit beruft. Dass sich eine gerichtliche Kontrolllücke auftut, ist problematisch, weil sich das Völkerrecht auch aufgrund der "Staatenpraxis" herausbildet: Der "Verfassungsbruch" setze sich fort, "weil das ja irgendwann Rechtspraxis wird", sagt Katja Keul (Grüne).

Haydn von Hohnstein und Süddeutsche Zeitung