Er überschreitet mit dieser Meinungsäußerung verfassungsrechtlich gebotene Grenzen gleich nach mehreren Seiten: zur Judikative, zur Legislative und zur Willensbildung im Volk. Als Bundespräsident hat er mit jeder Äußerung einen enormen Einfluss auf die Willensbildung, weshalb er nicht legitimiert ist, vor einer Parlamentsdebatte und Verabschiedung eines Gesetzes hierzu Stellung zu nehmen.
Hierzu das Grundgesetz:
Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG:[1] Die nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze werden vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung ausgefertigt und im Bundesgesetzblatte verkündet.
Art. 92 GG: Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut; sie wird durch das Bundesverfassungsgericht, durch die in diesem Grundgesetze vorgesehenen Bundesgerichte und durch die Gerichte der Länder ausgeübt.
Art. 93 GG:[1]Das Bundesverfassungsgericht entscheidet: … Ziffer 2 - bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetze oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrechte auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages; ...
Was der Bundespräsident dürfte:
Aus Art. 82 [s.o.] unseres Grundgesetzes geht hervor, dass der Bundespräsident ein Prüfungsrecht über bereits fertig beschlossene Gesetze des Bundestages hat, bevor er dem betreffenden Gesetz durch seine Unterschrift Rechtskraft verleiht. Es gibt eine jahrzehntelange Diskussion, ob dieses Prüfungsrecht nur formeller oder auch materieller Natur sei. D.h., ob der Bundespräsident nur prüfen muss, dass tatsächlich der Bundestag dieses Gesetz beschlossen hat und alle Verfahrensvorschriften dazu eingehalten worden sind, oder ob er auch prüfen darf, ob Vorschriften des Grundgesetzes durch das auszufertigende Gesetz eventuell verletzt würden, dann hat er seine Unterschrift zu verweigern und das Gesetz bleibt ungültig.
Die öffentliche Äußerung des frisch gebackenen und mit hohen Erwartungen belegten Bundespräsidenten Gauck ist zum jetzigen Zeitpunkt eine klare Grenzüberschreitung seines Amtes und damit eine unerlaubte [verfassungswidrige] Einmischung.
Sein Prüfungsrecht steht erst ganz am Ende eines manchmal langwierigen Gesetzesentstehungs- und -Beschlussverfahrens. Erst wenn ALLE ihre Meinung dazu gegeben haben, gerungen haben um die eine oder andere Formulierung und um das Gesetz selbst, DANN steht der Bundespräsident quasi an allerletzter und höchster Stelle im Sinne eines Grobchecks, ob das Gesetz insgesamt oder in einzelnen Teilen mit der Verfassung vereinbar ist. Das bedeutet, dass seine Rolle bewusst nicht Teil des Meinungsbildungsprozesses oder des einzelnen Gesetzgebungsverfahrens überhaupt ist.
Damit hat der neue Bundespräsident sein „Urteil“ unzulässig vorgezogen, da das betreffende Gesetz noch gar nicht vorliegt. Die scharf gezogene Grenze des Art. 82 GG wurde von ihm überschritten.
Er hat sich zu einem Zeitpunkt eingemischt, in dem noch nicht einmal im Bundestag über das Gesetz abgestimmt wurde. Das ist besonders verwerflich, da er im Amt des Bundespräsidenten hohe Autorität genießt oder genießen sollte und damit möglicherweise das Abstimmungsverhalten einzelner Abgeordneter bewusst oder unbewusst beeinflusst. Es kann sogar so sein, dass seine obige Äußerung in Brüssel gezielt darauf gerichtet war, Abweichler der großen Fraktionen in Bezug auf den Rettungsschirm, wie z.B. Bosbach [CDU] oder Schäfer [SPD] und weitere im Voraus einzuschüchtern und die „klare Marschroute“ vorzugeben. Das steht ihm nun auf gar keinen Fall zu. Wir sind kein Führerstaat wie das Dritte Reich. Gauck steht an der herausgehobensten Position des Staates und wischt sogar größte verfassungrechtliche Bedenken [die ehemalige Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin gehört zu den potentiellen Klägern] mit einem Handstreich weg, als wären sie ein paar verirrte Gedankengespinste von aus der Bahn geratenen Abgeordneten.
Seine Aufgabe als Bundespräsident wäre es aber gerade, solchen verfassungsrechtlichen Bedenken nachzugehen, und notfalls das Gesetz zu kassieren, auch nach breitem Mehrheitsbeschluss der neuen Blockparteien im Bundestag. Seine Aufgabe ist nicht, sich auf die Seite derer zu schlagen, die unsere Verfassung für inzwischen überholt erachten [wie z.B. explizit unser Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble].
Möglicherweise „rächt“ sich hier die angeblich rein taktisch motivierte Strategie der Oppositionsparteien SPD und Grüne, einen ausgewiesenen Neo-Liberalen als eigenen Vorschlag in die Bundespräsidentenwahl einzubringen und dann auch noch mal zu wiederholen, nur „um Frau Merkel eins auszuwischen“.
Bundespräsident Gauck hat aber noch eine Grenze unserer Verfassung überschritten: die Unabhängigkeit der Justiz.
Durch seine [vor]laute Vorfestlegung hat Gauck mit seiner Äußerung aus seiner Amtsposition heraus eine Art „Präjudiz“ geschaffen, indem er die Rettungsschirm-Gesetze und auch noch den Fiskalpakt [der das vornehmste Recht des Parlaments, das „Haushaltsrecht“ oder „Budgetrecht“, einfach ersatzlos über Bord wirft und eine EU-Diktatur über die Finanzschiene etabliert] vor dem ende des Gesetzgebungsverfahrens und sogar noch vor Einreichung der angekündigten Verfassungsklage zahlreicher Bundestagsabgeordneter für „verfassungskonform“ hält.
Sollten demnächst Richter des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts sich mit den Riesengesetzen EFSF, ESM und Fiskalpakt beschäftigen, so müssen sie zumindest befürchten, im Falle eines negativen Votums [also Verfassungswidrigkeit der Gesetzespakete] beim nächsten Bundespresseball vom Herrn Bundespräsident nebst Freundin geschnitten zu werden.
Das Budgetrecht des Parlaments spielte in der bisherigen verfassungsrechtlichen Wirklichkeit nur da eine Rolle, wo es darum ging, mehr Macht dem Volk selbst in die Hand zu geben, also bei der Frage von Volksentscheiden auf Bundesebene, aber auch bei den ganzen vielen kleinen Bürgerentscheiden und Landesvolksentscheiden: Hier sind bereits bis heute zahlreiche aussichtsreiche Bürgerbegehren von den jeweiligen Landesverfassungsgerichten allein mit dem formalen Argument abgewiesen, also von vornherein nicht zugelassen, worden, diese greifen in das heilige Budgetrecht des Parlaments ein. Die EU soll das nun dürfen?
Das Argument ist in einem demokratischen Rechtsstaat ohnehin absurd, da das Parlament ja immer nur die Vertretung des Volkes, des eigentlichen Souveräns, ist. Das Volk steht über dem Parlament. Die Repräsentanten des Volkes können nicht mehr Rechte haben, als das Volk selbst. Nur aus rein praktischen Gründen wurde bis jetzt das Modell der „repräsentativen“ Demokratie gewählt, da das Volk ja nicht zu jeder kleinsten Staatsentscheidung zu den Urnen gerufen werden kann bei einer Bevölkerung von 80 Millionen. Dieses andere Argument gegen mehr direkte Demokratie verliert in den letzten Jahren rasant an Kraft durch die Möglichkeiten elektronischer Abstimmung über das Internet mit e-Mail-Adresse und Autorisierung.
Das heilige Budgetrecht soll nun mit den Regenschirmgesetzen EFSF und ESM und durch den Fiskalpakt sowie alle angekündigten oder schon verwirklichten „Schuldenbremsen“ ausgehöhlt und zur zukünftigen Bedeutungslosigkeit verdammt werden. Warum schreien die Gelehrten der Jurisprudenz denn jetzt nicht auch? Es ist ja noch viel mehr gefährdet, als durch Elemente der direkten Demokratie! Keiner muckt auf von den „deutschen Staatsrechtslehrern“ [wie sie sich gerne nennen].
In einer Zeit erodierender Demokratie durch Lobbysierung der großen Volksparteien, die damit keine mehr sind, sondern nur noch „Konzernparteien“, in einer Zeit weitgehender „Gleichschaltung“ der öffentlichen und privaten Medien durch Interessenskollisionen [teure Anzeigenkunden drohen mit Abzug ihrer Werbegelder bei Vertreten bestimmter Meinungen in den großen Zeitungen] oder durch Drohungen und Druck, in einer Zeit allgemeinen hohen KONFORMITÄTS-DRUCKS insgesamt in der Gesellschaft, wo es nicht mehr darum geht, eine vernünftige Meinung erst einmal herauszufinden, sondern darum, ob Du zu denen dazu gehören darfst, die die „richtige“ Meinung haben [also der Hohner Bürgermeister usw.]. In dieser Zeit ist es um so schmerzlicher, wenn der Bundespräsident als vorletzte Instanz der Gesetzgebungsverfahren [letzte ist das Bundesverfassungsgericht, allerdings nur wenn es jemandem gelingt, eine ZULÄSSIGE Klage dort einzuschleusen. Auch dieses Recht soll demnächst massiv beschränkt werden, vor allem die Verfassungsbeschwerde für die normalen Bürger] allen demokratischen Prinzipien [Gewaltenteilung] zum Trotz sich dumpf, ohne Kenntnis des entsprechenden Verfassungsrechts, mal so eben politisch einmischt.
Das Gewaltenteilungsprinzip ist eines der höchsten Güter sämtlicher „freiheitlicher“ demokratischer Verfassungen der westlichen Welt. Es hat auch seinen Sinn. Durchbrechungen sind nur in ganz klar benannten und begründeten Fällen erlaubt. Wachsamkeit hat immer zu herrschen. Werden die Grenzen zwischen den Gewalten überwunden, herrscht Despotie [Tyrannei]. Nur noch Einzelne bestimmen dann völlig ohne Grenzen und Regeln über das Schicksal aller Übrigen.
Bundespräsident Gauck, noch jung im Amt, aber schon lange in der Politik aktiv, hat die von unserem Grundgesetz gezogenen Linien mehrfach und ohne jeden Respekt und Vorsicht überschritten.
Kann dem Herrn Pfarrer nicht irgendeiner mal eine Vorlesungsteilnahme bei den Erstsemestern Jura „das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland“ [auf das hat er immerhin einen Eid geleistet] schenken oder ihn dorthin fürsorglich begleiten?
Haydn von Hohnstein